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… Frau Professorin Dr. Gwendolyn Gramer und Professor Dr. Georg F. Hoffmann – Hufeland-Preisträger 2019
 
Bei fehlender Behandlung kann der Vitamin B12-Mangel bei Neugeborenen zu schweren und irreversiblen neurologischen Schädigungen führen. Aber es ist eine gut behandelbare Krankheit. Die in der Arbeit präsentierte Screeningstrategie ist technisch gut umsetzbar und identifiziert effektiv und effizient sowohl moderate als auch schwere Formen des Vitamin B12-Mangels. Die Behandlung der Kinder ist einfach und kostengünstig. Hinzu kommt, dass in der Betreuung schwangerer Frauen dem Vitamin B12-Mangel eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Wichtig wäre nun die flächendeckende Aufnahme des Vitamin B12-Mangels als Zielkrankheit in das Neugeborenenscreening.

Frau Professorin Dr. Gwendolyn Gramer

Professor Dr. Georg F. Hoffmann 

Professorin Dr. med. Gwendolyn Gramer und Professor Dr. med. Georg F. Hoffmann wurden mit ihrer Studie „Neugeborenenscreening auf Vitamin B12-Mangel in Deutschland – Strategien, Ergebnisse und Bedeutung für das Gesundheitswesen“ die Hufeland-Preisträger des Jahres 2019. Die Preisträger sind am Universitätsklinikum Heidelberg, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, tätig. Im Interview erläuterten sie ihre Arbeit, die im Journal of Pediatrics erschien.

Frage: Man findet in der Literatur viel Material über die Bedeutung der Versorgungsforschung in unserem Gesundheitssystem. Was ist für Sie persönlich das interessanteste an diesem Forschungsgebiet?

Gramer: Die Versorgungsforschung und Prävention verbinden wissenschaftliche Aspekte der Medizin mit der Anwendung dieser Erkenntnisse zum Wohle der Patienten. Im Falle des Neugeborenenscreenings als wichtige Präventionsmaßnahme kommen neue Möglichkeiten zur Früherkennung von behandelbaren Krankheiten direkt den betroffenen Kindern und deren Familien zugute. Zu dieser Weiterentwicklung beitragen zu können und in der ärztlichen Betreuung der Familien die positiven Effekte der Früherkennung zu erleben ist eine sehr erfüllende Tätigkeit.

Hoffmann: Prävention und Versorgungsforschung gehen Hand in Hand. Präventionsangebote sollten möglichst niedrig schwellig verfügbar sein, mit
klaren Strukturen, besonders hoher Sensitivität und Spezifität und großer Akzeptanz. Seltene genetische Erkrankungen sind die häufigste Ursache für schwere Behinderungen und Tod im frühen Kindesalter. Da ursächliche Therapien nur bei frühzeitiger Diagnose und Therapiebeginn erfolgreich sind, arbeitete ich seit über 30 Jahren an der stetigen Verbesserung des populationsbezogenen flächendeckenden Neugeborenenscreenings. Die damit ermöglichte Frühbehandlung lebensentscheidender Krankheiten wurde zur wichtigsten Maßnahme der medizinischen Sekundärprävention.
Frage: Frau Professorin Gramer zu der vorgestellten Studie: Allen Neugeborenen wird in Deutschland ein Neugeborenenscreening angeboten. Was soll damit erreicht werden?
Gramer: Die Untersuchung von Neugeborenen durch eine Blutuntersuchung aus Trockenblutproben in den ersten Lebenstagen dient der Früherkennung behandelbarer Krankheiten. Das Screening erfasst in Deutschland aktuell siebzehn Zielkrankheiten. Ohne Behandlung oder bei späterer Diagnosestellung führen diese Krankheiten zu schwerer irreversibler körperlicher und geistiger Behinderung oder zum Tod. Die Früherkennung und frühe Behandlung dieser Krankheiten ermöglicht den betroffenen Kindern beste Chancen auf eine normale Entwicklung.

Frage: Mit Ihrer Arbeit erforschten Sie eine neue effektive Screeningstrategie, die es ermöglicht, den Vitamin B12-Mangel bei Neugeborenen als neue Zielkrankheit im Neugeborenenscreening zu etablieren. Was bewirkt der Mangel an Vitamin B12?

Gramer: Der Vitamin B12-Mangel des Neugeborenen ist eine sehr gut behandelbare Krankheit, kann aber bei verzögerter Diagnose und später Behandlung bei Säuglingen zu schweren irreversiblen neurologischen Schädigungen und einer dauerhaften Entwicklungsstörung führen. Meist wird der Vitamin B12-Mangel aber erst im zweiten Lebenshalbjahr aufgrund von Krankheitszeichen erkannt.

Frage: Was ist die Ursache dieses Mangels?

Gramer: Ein Vitamin B12-Mangel des Neugeborenen ist meist bedingt durch einen mütterlichen Vitamin B12-Mangel zum Beispiel durch zu geringe Aufnahme von Vitamin B12 über die Nahrung oder unerkannte gastrointestinale Resorptionsstörungen.

Frage: Herr Professor Hoffmann, die Zielsetzung ihrer Studie war die Entwicklung und Evaluation einer Strategie, die die Früherkennung des Vitamin B12-Mangels aus der für das Regelscreening verwendeten Trockenblutprobe erlaubt.

Hoffmann: Ja, mit dieser neuen Strategie wird das Neugeborenenscreening mittels der Tandem-Massenspektrometrie um zwei sogenannte Second-tier-Strategien ergänzt. Diese bestehen in der Bestimmung von Methylmalonsäure, 3-OH-Propionsäure und Methylcitrat sowie von Homocystein aus der Neugeborenenscreeningprobe. In einem Pilotprojekt am Screeningzentrum Heidelberg wurden über einen Zeitraum von 27 Monaten 176.702 Neugeborene untersucht und bei 33 Kindern ein Vitamin B12-Mangel festgestellt. Der sensitivste Marker war Homocystein im Trockenblut, aber nur die Kombination mit der Second-tier-Strategie zur Bestimmung von Methylmalonsäure ermöglichte die Früherkennung aller 33 Kinder. Wir behandelten die identifizierten Kinder nach einem neuen, nun ausschließlich oralen Supplementationsschema von Vitamin B12. Nach der frühzeitigen Therapie entwickelten sich bei keinem der Kinder klinische Symptome eines Vitamin B12-Mangel.

Frage: Welche Schlussfolgerung ergibt sich aus der von ihnen entwickelten Screeningstrategie?

Hoffmann: Bei fehlender Behandlung kann der Vitamin B12-Mangel bei Neugeborenen zu schweren und irreversiblen neurologischen Schädigungen führen. Aber es ist eine gut behandelbare Krankheit. Die in unserer Arbeit präsentierte Screeningstrategie ist technisch gut umsetzbar und identifiziert effektiv und effizient sowohl moderate als auch schwere Formen des Vitamin B12-Mangels. Die Behandlung der Kinder ist einfach und kostengünstig. Hinzu kommt, dass in der Betreuung schwangerer Frauen dem Vitamin B12-Mangel eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Wichtig wäre nun die flächendeckende Aufnahme des Vitamin B12-Mangels als Zielkrankheit in das Neugeborenenscreening.

Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg.

Förderung: Das Pilotprojekt Neugeborenenscreening 2020 des Screeningzentrums Heidelberg wird ermöglicht durch die großzügige Förderung der Dietmar Hopp Stiftung, St. Leon-Rot.