Auf einen Kaffee mit ...

...Prof. Dr. Erland Erdmann. Der emeritierte Hochschullehrer der Universität zu Köln und Vorsitzende des Kuratoriums Hufeland-Preis erläutert, wie sehr er die intellektuellen Freiheiten an der Uni schätzt, warum er grundsätzlich alles hinterfragt – und weshalb „ungläubige“ Wissenschaftler für den medizinischen Fortschritt unerlässlich sind.

Frage: Herr Professor, Sie hatten in der Universität zu Köln Ihrer Abschiedsvorlesung den Titel „Der ungläubige Thomas in der Kardiologie“ gegeben. Ungläubig in der Medizin? Wie ist das zu verstehen?

Professor Erdmann: Ich bin als kritischer Mensch bekannt, denn ich hinterfrage alles zunächst einmal. So kennt man mich und deshalb werde ich auch sehr oft zu Diskussionen als der Teilnehmer eingeladen, der die konträre Position zu einem Problem vertritt. Man weiß, ich zerpflücke die Dinge sehr gerne. Es ist doch so: In der Religion muss man glauben, sonst ist man eben nicht religiös. Glauben ist in der Wissenschaft aber unangebracht bzw. nicht weiterführend. Die heute vermeintlich gesicherte Behandlung kann sich morgen als nicht hilfreich herausstellen. Man soll schon seinen Finger in die Wunde legen. Das ist ebenso mein Prinzip wie die oft kritische Frage nach dem Beweis. Wenn man nach meiner Erfahrung den Dingen wirklich auf den Grund geht, dann sieht es oft eben nicht so aus wie zunächst angenommen.

Frage: Haben Sie dafür ein Beispiel?

Professor Erdmann: Herzrhythmusstörungen wären ein gutes Beispiel. Es gibt wirksame Medikamente, die die Rhythmusstörungen auch ganz gut beseitigen. Wunderbar, hat man früher gedacht. Doch dann fand man bei späteren kritischen, kontrollierten Untersuchungen heraus, dass man dafür allerdings früher ins Grab muss, man stirbt dann mit Antiarrhythmika und ohne Rhythmusstörungen früher. Bei aller Euphorie, dass wir ein Medikament dafür beziehungsweise dagegen haben, wurde die Langzeitwirkung nicht bedacht. So ist es häufig bei all dem medizinischen Fortschritt, der uns begleitet. Man muss permanent skeptisch prüfen, um nicht unsicheres Terrain zu betreten.

Frage: Und trotzdem muss man mit Niederlagen leben.

Professor Erdmann: Ärztliche Tätigkeit ist ohne Niederlagen gar nicht vorstellbar. Jeder Patient, der vorzeitig stirbt, bedeutet eine Niederlage. Doch auch aus Niederlagen kann und muss man lernen, wenn man, wie vorher erwähnt, das eigene Tun stets kritisch hinterfragt. Niederlagen müssen ja nichts mit Fehlverhalten zu tun haben. Früher war man zum Beispiel der Meinung, den Patienten nach einem Herzinfarkt zur Ruhigstellung tagelang ins Bett zu stecken. Heute muss man akzeptieren: Das war eine falsche Therapie. Heute geht der Infarktpatient oft drei Tage nach der Erstbehandlung schon wieder nach Hause und hat eine deutlich bessere Prognose. Das ist nur dadurch möglich geworden, dass „ungläubige“ Wissenschaftler die jahrelang geübte frühere Therapie kritisch beleuchtet haben.

Frage: Herr Professor, Sie sind Wissenschaftler und Ihr Leben spielte sich an der Universität ab. Würden Sie diesen Weg wieder gehen?


Professor Erdmann:
Ja, ich würde immer wieder an die Uni gehen. Die intellektuellen Freiheiten, die ich dort erleben durfte, hätte ich nirgendwo sonst bekommen. Nun habe ich auch Glück gehabt und bin in Funktionen und Positionen gekommen, in denen ich entscheiden konnte. Sicher hat nicht jeder dieses Glück. Aber ich würde heute jedem engagierten Mediziner den Rat geben, eine wissenschaftliche Karriere an der Universität anzustreben.

Frage: Was müsste er mitbringen?

Professor Erdmann: Neunzig Prozent Fleiß und 10 Prozent Intelligenz.

Frage: Wie nehmen Sie die jungen Leute, die Studenten, heute wahr. Sind sie fleißiger als früher? Oder auch nicht?

Professor Erdmann: Ich sehe, dass die Zahl derer, die hart arbeiten wollen, genauso groß ist wie früher auch. Man muss natürlich ein bisschen differenzieren und auch die unterschiedlichen Interessen berücksichtigen. Ich habe zum Beispiel meine Klinik so geführt, dass ein Drittel der Ärzte sich vorwiegend mit der reinen Wissenschaft beschäftigt, ein Drittel arbeitet dort mit, wo es ihm Spaß macht und ein Drittel kümmert sich primär um seine praktische klinische Ausbildung. Es ist ja nicht so, dass jeder für die Wissenschaft geeignet ist. Dazu gehört schon eine gewisse Berufung. Diese sich dazu berufen fühlenden Kolleginnen und Kollegen habe ich maximal gefördert. Wir hatten in all den Jahren nie Mangel an jungen Leuten, die auch die vielen damit verbundenen Frustrationen auf sich genommen haben. Reich wird man da nicht. Aber ich habe nie einen gehört, der darüber geklagt hat.

Frage: Die Medizin wird weiblicher. Viel mehr Frauen als früher entscheiden sich heute für ein Studium der Medizin. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Professor Erdmann: Das ist richtig, an der Universität zu Köln haben wir zurzeit etwa siebzig Prozent Medizinstudentinnen. In meinem Team waren schon etwa die Hälfte Frauen,  bei den Oberärzten weniger, den Chefärzten noch weniger. Das kann sich aber ändern.  Frauen sind klüger, und sie bringen in vielen Bereichen bessere Voraussetzungen mit als ihre männlichen Kollegen. Im mitfühlenden Umgang mit den Patienten zum Beispiel. Andererseits muss man auch Verständnis für die Grenzen sehen, die eine Frau beruflich zieht. Sie fragt sich ja oft, will ich das überhaupt, diesen Stress, diesen Arbeitsdruck, oder bin ich emotional glücklicher, wenn ich mein Leben anders, selbstbestimmter gestalte und wie passt die Kindererziehung da hinein? Aber – in der Arbeitswelt einer Klinik gibt es genügend Möglichkeiten, den Interessen der Ärztinnen entgegenzukommen. Man muss halt von manchen traditionellen Vorstellungen Abstand nehmen und neue, flexiblere Formen finden. Das haben wir in Köln auch so praktiziert.

Frage: Sie sind heute noch weltweit ein gefragter Experte der Kardiologie, aber auch seit vielen Jahren Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Hufeland-Preis. Es ist der bedeutendste Präventions-Preis in Deutschland. Hat die Präventionsmedizin noch den Stellenwert wie früher?

Professor Erdmann: Leider nicht mehr, zu meinem großen Bedauern! Prävention hat in meinen Augen einen noch größeren Stellenwert als die Therapie. Da spielt aber auch die Wahrnehmung der Öffentlichkeit eine Rolle. Es gibt in der heilenden Medizin spektakuläre Methoden und Erfolge. Darüber wird berichtet und diskutiert. Prävention ist dagegen eine langwierige Sache, und bis sich ein Nutzen darstellt, dauert es meist sehr lange. In der Regel sind auch die Themen, mit denen sich die Präventionsmedizin beschäftigt, nur selten schlagzeilenrelevant. Es sind zum Großteil Hygieneprobleme, eine gute Ernährung, die üblichen guten Ratschläge seit Generationen. Also alles nicht so spektakulär - aber trotzdem unglaublich wichtig! Unsere heutige erfreulich lange Lebenserwartung ist zum überwiegenden Teil der Präventivmedizin und nur zu einem kleinen Teil der Akutmedizin zu verdanken. Deshalb bin ich weiterhin der Überzeugung, dass es gut ist, einen Hufeland-Preis zu haben, der die Medizin in Deutschland jedes Jahr aufruft, gute und für uns alle wichtige Forschung im Bereich der Prävention zu praktizieren.

Herr Professor Erdmann – wir danken Ihnen für Ihr Kommen und für das Gespräch.